Versuch einer Antwort auf den Artikel „Die Brandmauer“ vom 06.12.2018 in der Süddeutschen Zeitung anlässlich der Bürgerversammlung in Trudering und Riem von Karl-Michael Brand, Geschäftsführung ECHO e.V.
Befürchtungen, die Messestadt könne zum sozialen Brennpunkt verkommen, sind ebenso wenig neu, wie die direkte Verknüpfung dieser Ängste mit dem Bild von aggressiven Jugendlichen auf den Straßen des Quartiers. 2006 ging es beim ersten „Shit-Storm“ noch stark um Preisverfall von Immobilien als Wertanlage durch zu viel sozialen Wohnungsbau.
2012 wehrten sich junge Menschen aus der Messestadt mit einem offenen Brief an die Presse unter dem Titel „Die Messestadt ist kein Ghetto, sondern unser Zuhause!“ so erfolgreich gegen das Klischee von der „Gangsta-Mauer“, das sie als unfaire Ausgrenzung empfanden, dass die Presse sehr differenziert aus verschiedensten Blickwinkeln das Leben im Viertel präsentierte und das Bild wieder geraderückte.
2016 gab es vor den Riem Arcaden einen folgenschweren und völlig indiskutablen Fall von Landfriedensbruch, der dem Stadtteil eine Null-Toleranz-Maßnahme der Polizei mit massiver Präsenz der Einsatzhundertschaft des USK (Unterstützungskommando) und ziemlich viel unerfreuliche Publicity einbrachte. Mit Beginn der BAUMA verschwand das Thema aus Berichterstattung und Quartiersalltag.
Dass es 2018 wieder besondere Probleme in der Messestadt gäbe, erreichte die politische Führungsebene wohl durch eine Sitzung des S.A.M.I. (Sicherheits- und Aktionsbündnis Münchner Institutionen). „Die Messestadt brenne“, ließ der Polizeipräsident in der Folge verlauten.
Dieses Mal war der auslösende Impuls ein Musikvideodreh von jungen Erwachsenen im Riemer Park, bei dem eine Nebelmaschine benutzt wurde. Die Stadt beauftragte daraufhin AKIM (Allparteiliches Konfliktmanagement), sich der Sache vor Ort anzunehmen.
Die Polizeipräsenz wurde wieder massiv verstärkt, auch durch Einheiten des USK und Zivilfahnder. Die Personenkontrollen sind seither zahlreich sowie intensiv, und zielen auf Jugendliche. Es werden vermehrt pauschale Gruppenkontrollen duchgeführt und Platzverweise ausgesprochen, häufig mit der Begründung, die Messestadt sei ein Gefahrenort und darum müssten nunmehr besondere Regeln angewendet werden. Dies bedeutet im Klartext, es lägen Erkenntnisse vor, dass an diesem Ort erfahrungsgemäß Straftaten verübt würden. Dann braucht nämlich ein konkreter Verdacht gegen die zu überprüfende Person nicht vorzuliegen, um die Identität festzustellen.
Das Verhältnis zwischen Polizei und Jugendlichen verhärtet sich immer in den Phasen massiver Präsenz zusehends. Beide Seiten monieren fehlenden Respekt. Und wohl auch zu Recht:
Es geht nicht an, dass uniformierte Polizisten mit Schmährufen empfangen werden; aber ist es klug, grundsätzlich jeden Passanten unter 30 Jahren, der optisch in ein bestimmtes Raster passt, zu duzen und ihm das Gefühl zu vermitteln, unter Generalverdacht zu stehen? (Die Jugendlichen differenzieren in ihrer Kritik übrigens sehr deutlich zwischen uniformierten Beamten aus dem Stadtteil und USK.)
Eines zu betonen, ist mir hier ganz wichtig:
- Es geht in keinster Weise darum, Straftatbestände zu ignorieren oder auch nur herunterzuspielen.
- Aber wichtig ist uns – als pädagogischer Lobby für die Rechte von Kindern und Jugendlichen – ein präventiv-deeskalierender Ansatz im Umgang mit Aggression im öffentlichen Raum, um Spiralen der Provokation zu verhindern.
Und es ist eine Tatsache: München wurde heuer zum 42. Mal in Folge zur sichersten Stadt Deutschlands gekürt. Die Messestadt als ein Bezirk, der einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Kindern und Jugendlichen besitzt, stellt dabei statistisch keinen Ausreißer dar.
Betrachtet man die relativen Zahlen der Kriminalitätsstatistik, zeigt sich ein vergleichbares Verhältnis wie in anderen Stadtteilen auch. Die Pressestelle des Polizeipräsidiums hat ja auf Nachfrage der SZ zugestanden, dass von ihr nur absolute Zahlen erhoben wurden, welche nicht in Bezug zu den im Stadtbezirk stark steigenden Einwohnerzahlen gesetzt wurden.
In bilateralen Gesprächen mit Vertretern der Polizeiinspektion 25 wurde uns auch in diesem Herbst wieder der Eindruck bestätigt, dass die Messestadt nach wie vor kein Brennpunkt sei.
Der runde Tisch von AKIM mit Anliegern, einem Vertreter der Jugendlichen, der Polizei und Vertretern sozialer Einrichtungen kam ziemlich schnell zu dem Schluss, dass ein brennendes Hauptproblem der Messestadt die Lärmbelästigungsproblematik für die Anwohner am Platz der Menschenrechte ist.
Man hat dann konkret versucht, hier Modelle zur Soforthilfe für die zu Recht genervten Anwohner zu erarbeiten. Beispielsweise soll dies durch Präsenz von MitarbeiterInnen von AKIM auf dem Platz zur Deeskalation geschehen, aber auch durch Bereitstellung von Alternativen zur Mauer als Treffpunkt, wo die Belästigung durch die Architektur noch begünstigt wird, weil der Schall extrem gut reflektiert wird. Diese Alternativangebote sind gerade für die Jüngeren wichtig, damit der „Hotspot Mauer” früher oder später zum Auslaufmodell wird.
Unbegreiflich scheint es uns hier, dass der „Kampf“ mehrerer Generationen von Jugendlichen um einen witterungsunabhängigen Ort zum Treffen ohne pädagogische Dauerpräsenz – ohne Erwachsene – nunmehr schon über 13 Jahre währt, obwohl sich z.B. der Bezirksausschuss seit Jahren für solch einen Ort einsetzt. Erst in diesem Herbst konnte ein Partizipationsworkshop von ECHO e.V./Quax, unterstützt von Startstark und Condrobs mit einer echten Chance auf Realisierung stattfinden.
Es wurde im Übrigen aber auch festgestellt, dass der problematische Personenkreis am Platz der Menschenrechte nicht aus Jugendlichen, sondern aus Erwachsenen Mitte bis Ende 20 besteht, für die das Quartier leider ebenfalls wenig Möglichkeiten (im Sinne von Kneipe, Club, Biergarten) bietet. Ein Problem, dass aber die Stadt nicht lösen kann.
Eine Argumentationsschiene, wie sie von der Münchner Polizei in der Bürgerversammlung verfolgt wurde und wie sie sich in der Berichterstattung abbildet, scheint mir zu eindimensional und bildet im Übrigen die guten Erfahrungen, die wir mit den Beamten vor Ort seit 18 Jahren machen, auch nicht wirklich ab.
In einem Gespräch mit den Kollegen von AKIM konnten wir feststellen, dass auch dort unsere Bedenken hinsichtlich einer sehr einseitig aus Sichtweise der Polizei erfolgten Argumentation geteilt werden. Folgende Punkte werden hier genannt:
- Die Zuordnung von Straftaten, die zum Teil nie aufgeklärt wurden, zu den jungen Menschen an der Mauer ist so nicht richtig.
- In dem Bericht über unseren Runden Tisch entsteht der Eindruck, dass die Aufgabe ist, dass die Jugendlichen den richtigen Ton finden – über deren Perspektive und Bedürfnisse findet sich leider nichts.
- AKIM befürchtet, dass es in der nächsten Saison schwerer werden wird, mit den Jugendlichen und den Jugendvertretern im Quartier zusammenzuarbeiten.
So und zum Abschluss noch die Auflösung des Rätsels um die Überschrift: Der Künstler Pygmalion in der griechischen Mythologie schuf eine weibliche Statue – seine Ideal einer Frau – und verliebte sich schließlich in seine Kunstfigur Galatea, welche die Göttin Aphrodite auf seine Bitte zum Leben erweckte.
Als Pygmalion-Effekt wird bezeichnet, wenn sich eine (vorweggenommene) positive Einschätzung im späteren Verlauf bestätigt. Das wird unter anderem dadurch ermöglicht, dass Autoritätspersonen ihre Erwartungen in subtiler Weise übermitteln, z. B. durch persönliche Zuwendung, durch Häufigkeit und Stärke von Lob und Tadel oder durch hohe Leistungsanforderungen.
Die negative Variante ist der Golem-Effekt, der besagt, dass auch die negativen Erwartungen einer Autoritätsperson zu einer verminderten Erwartung der untergebenen Person an sich selbst führen und damit die Leistung und das Vorankommen stark beeinträchtigen. Benannt wurde der Effekt nach der mittelalterlichen Figur des Golem, die in der jüdischen Mythologie eigentlich von Rabbi Löw erschaffen wurde, um als Beschützer des Prager Ghettos zu dienen, dann aber mehr korrupt und gewalttätig wurde und deswegen zerstört werden musste.
Beides sind Bilder für eine selbsterfüllende Prophezeihung und es liegt letztendlich im Auge der Jugendlichen selbst, ob sie in ihrer subjektiven Wahrnehmung “eine Ghetto-Existenz” positiv oder negativ konnotieren, analog der oben beschriebenen Klischees als Pygmalion- oder Golem-Effekt. Zielführend für ein gedeihliches Zusammenleben ist dies aber in keiner Weise.
Heute, den 07.12.2018, findet im Quax – Zentrum für Freizeit und kulturelle Bildung – in der Helsinkistraße 100 von 19-20 Uhr wieder Speakers Corner statt. Im Planungsbeteiligungsworkshop des ECHO e.V. für und mit Jugendlichen sind heute Polizeibeamte zu Gast, die Fragen aller interessierten Jugendlichen beantworten und sich mit ihnen austauschen wollen, wobei natürlich auch auf die aktuelle Situation in der Messestadt eingegangen werden kann.