Autor: Dr.-Ing. Georg Kronawitter, FAK Mobilität im Behindertenbeirat München
Zu diesem Artikel
Dieser Artikel will all jenen Menschen Mut machen, die als Gehbehinderte im Alltag Mobilitätsprobleme haben. Das Wichtigste ist mir, der ich nach meinem Schlaganfall (2011) hauptsächlich ein Dreirad nutze, aufzurufen, dass kein Betroffener Scheu haben sollte, sich geeigneter Hilfsmittel und Hilfen zu bedienen. Eitelkeit ist hier eine schlechte Begleiterin! Außerdem sollte man sich auch nicht scheuen, einen Behindertenausweis zu beantragen – gerade wenn altersbedingte Mobilitätseinschränkungen “zuschlagen”. Dann besteht eine gute Chance, für gerademal 80 Euro im Jahr (!) einen Mobilitätspass für den gesamten Öffentlichen Nahverkehr (Bahnen, Busse, Linienschiffe) in Deutschland zu erwerben!
Zusammenfassung
Auch wenn die Messestadt nach dem Leitbild von “kompakt, urban, grün” eigentlich ein Stadtteil der kurzen Wege ist und bewusst fußgänger- und radfahrerfreundlich konzipiert und mit der U-Bahn hervorragend an das Münchner Schnellbahnnetz angebunden ist, relativieren sich diese Merkmale schnell für alle Menschen, die gehbehindert sind.
Daher stellt dieser Artikel schwerpunktmäßig die Entwicklung bei individuellen technischen Mobilitätshilen dar.
Ein zweiter Schwerpunkt ist der Begleitservice für Bus& Bahn, den die Stadt München seit zwei Jahren in München ins Leben gerufen hat.
Abschließend breche ich eine Lanze für die Installation von so genannten Mobilitätsstationen in der Messestadt, von denen alle profitieren würden.
Wer ist gehbehindert ?
Es gibt Menschen mit angeborenen Gehbehinderungen, es gibt alters- und krankheitsbedingte Gehbehinderungen. Aber auch eine Sportverletzung an den Beinen macht auch einen jungen fitten Menschen schnell gehbehindert.
Warum Mobilitätshilfen für Gehbehinderte ?
Mobilitätshilfen haben für Gehbehinderte folgende Vorteile:
- sie erweitern erheblich den Entfernungsbereich
- sie bieten mehr Sicherheit vor Stürzen
- sie unterstützen selbstbestimmte Mobilität
- sie sind Individuell anpassbar
Zum Beispiel: Dreiräder
Dreiräder für Erwachsene werden von vielen Menschen mit Gehbehinderungen genutzt. Ihre spezifischen Vorteile sind:
- sie sind so flexibel wie ein Fahrrad – aber viel sicherer und stabiler
- auch Schrittgeschwindigkeiten sind möglich
- sie haben gute Zulademöglichkeiten
- es gibt sie auch in trendigen Designs (“Trike”)
- sie fördern die körperliche Fitness.
Ihre spezifischen Nachteile sind:
- je nach Sitzhöhe reagieren sie empfindlich auf Unebenheiten der Wegoberfläche
- sie sind schlechter zu manövrieren (enge Durchfahrten)
- sie sind gewöhnungsbedürftig zu fahren
- eine gewisse körperlich Fitheit ist nötig – wie beim Fahrrad
Welche enormen Möglichkeiten Dreiräder auch für ältere Menschen mit Gehbehinderungen bieten, hat vor einigen Jahren die Münchnerin Gunda Krauss bundesweit demonstriert, als sie mit ihrem E-Dreirad 2014 von München nach Rügen fuhr. ( www.sueddeutsche.de/muenchen/tour-durch-deutschland-mit-dem-dreirad-nach-ruegen-1.2249388).
Gleichwohl sind Erwachsenendreiräder gewöhnungsbedürftig zu fahren und bedürfen einer gewissen Routine. Das mag zunächst erstaunen und erschließt sich auch bei einem Selbstversuch nicht, wenn man das Rad auf dem brettlebenen Hof des Fahrradhändlers ausprobiert. Die unangenehmen Fahreigenschaften treten aber beim Fahren auf einer normalen Straße auf und äußern sich vor allem in einem Rechtsdrall, der permanentes Gegensteuern bei Geradeausfahrt erfordert, will man nicht in parkende Autos oder in Gartenzäune fahren.
Woher kommt das?
Die Ursache für diesen Rechtsdrall liegt in der gekrümmten Straßenoberfläche und führt auch dazu, dass die Sitzposition gefühlt schräg ist. Man kommt sich ein bisschen vor wie im Ausguck auf dem Mast eines Segelschiffes in schwerer See (“Schlagseite”, Krängung). Besonders unangenehm wirken sich zusätzliche Bodenunebenheiten aus.
Diese unangenehmen Fahr-Effekte kann man konstruktiv durch eine niedrige Sitzposition deutlich verringern.
Am extremsten ist dies bei den häufig “Trike” genannten Liegedreirädern (Im Foto in der Mitte) der Fall. Diesen Vorteil bezahlt man aber durch Schwierigkeiten beim Ein- und Aussteigen, so dass dieser Dreiradtyp für viele Menschen mit Mobilitätseinschränken (leider) nicht nutzbar ist.
In den letzten Jahren hat sich daher als guter Kompromiss in puncto Sitzhöhe ein “Easy-Rider”-artiger Dreiradtypus herausgebildet, der so tief wie möglich (wegen der “Schlagseite”‘) und so hoch wie möglich (wegen des Einstiegskomforts) ist. Im Foto oben entspricht das Dreirad links diesem Typ.
Es kommen immer wieder neue, pfiffige Konstruktionen auf den Markt, z. B. das vom Münchner Rolf Hueber entwickelte ELFIT (www.elfit.eu), das am 21. Mai 2017 vor dem Kopfbau stand:
Zum Beispiel: eMobile (eScooter)
Jeder kennt den Typus des Elektro-Mobils oder Elektro-Scooter. Er lässt sich relativ schnell und leicht beherrschen und erfordert wenig körperliche Fitness. Sein größter Nachteil ist wohl, dass ein eMobil unausgesprochen als reines “Behindertenvehikel” angesehen wird. Eitle Menschen quälen sich daher lieber ab, als so ein Hilfsmittel zu nutzen.
Nicht alle, wie das folgende Bild vom S-Bahnsteig Marienplatz zeigt:
Aber mit so einem eMobil verlieren ausgedehnte Fußgängerzonen, aber auch Freizeitareale wie der Riemer Park ihre Schrecken auch für stark gehbehinderte Menschen.
Sie eignen sich wegen ihrer unkomplizierten Handhabung gut für öffentliche Leihstationen.
Münchens schottische Schwesterleih-stadt Edinburgh liefert hier ein gutes Vorbild. Im Besucherzentrum des berühmten Royal Garden, also des Botanischen Gartens warten Leih-eMobile auf Nutzer (Foto).
Es kann im Zeichen der Inklusion nicht angehen, dass über MVG-Rad zwar mehrere hundert kommunale Leihräder für Menschen ohne Behinderungen zur Verfügung stehen, für Menschen mit Einschränkungen jedoch kein Leihhilfsmittel angeboten wird, obwohl hier die Bedürftigkeit größer ist.
Eine Münchner – Hardy Huber – hat aufgrund eigener Betroffenheit eine besonders mobilen eScooter entwickelt, der zusammen”faltbar” ist und quasi ins Bordgepäck passt: den TravelScoot ( www.travelscoot.de):
Dieser Scooter ist so kompakt, dass er problemlos auch innerhalb von Gebäuden benutzt werden kann.
Einfach sich helfen lassen: der Begleitservice
Technische Mobilitätshelfen sind die eine Seite der Medaille für Menschen, die sich noch selbst alles zutrauen. Für Menschen, die aufgrund ihrer Einschränkungen eine Hilfe durch einen Begleiter benötigen, wenn sie unterwegs sind, hat die Stadt München 2015 den – kostenlosen! – Bus&Bahnbegleitservice nach Berliner Vorbild eingerichtet.
Die Begleitfahrten finden montags bis freitags von 8 bis 18 Uhr statt. Einsatzgebiet ist das Münchner Stadtgebiet.
Zum vereinbarten Zeitpunkt holen die Mobilitätshelfer, die an der entsprechend beschrifteten Dienstkleidung zu erkennen sind, die Kunden am Ausgangspunkt der Fahrt ab.
Anmeldung unter Telefon: (089) 54 49 18 92 0
Das Angebot richtet sich an Seniorinnen und Senioren, mobilitätseingeschränkte Fahrgäste sowie Personen, die Unterstützung und Orientierungshilfe für die Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln benötigen. Grundsätzlich müssen die Kunden in der Lage sein, den Weg zu bewältigen. Das Mindestalter für die Nutzung ist 16 Jahre.
Die Leistungen des Begleitservice sind für die Nutzer des Dienstes kostenlos.
Weitere Infos unter www.kmfv.de/einrichtungen-und-dienste/einrichtungssuche/einrichtung/bus-bahn-begleitservice-muenchen/show/
Ein Ausweis, der wirklich hilft
Gerade viele ältere Menschen, die deutlich altersbedingte Mobilitätseinschränkungen haben, scheuen sich, einen Behindertenausweis zu beantragen. Das ist grundfalsch, wird dann doch auch der Weg verbaut, mit einer Jahreswertmarke für ca. 80 Euro in ganz Deutschland alle Verkehrsmittel des Nah- und Regionalverkehrs, zu denen auch Linienschiffe auf den bayerischen Seen gehören, kostenlos zu benutzen. Und erfordert die Behinderung eine Begleitperson (Kennzeichen “B”), dann fährt auch diese kostenlos mit.
Weitere Infos erhalten Sie hierzu z. B. im ASZ Riem.